Freitag, 23. November 2012

Kapitel 2 (8)

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In den Gründerjahren des Privatfernsehens agierten Geschäftsleute, Akquisiteure für Werbung, Glücksritter und Boulevardjournalisten. Sie konnten sich glücklich schätzen, jemanden mit einiger Vorbildung in Kunst und Kulturgeschichte zu finden. Denn damals mussten sie noch in den klassischen Sparten, also auch im Feuilleton, mit den öffentlich-rechtlichen Programmen konkurrieren. Der Schauspieler reüssierte, weil er die Idealbesetzung für die freie Rolle war. Er kannte sich im Kulturressort aus und hatte Sinn für Qualität, ohne selbst alles besser wissen zu müssen. Er war kein Star mit Allüren, sondern ein erfahrener Mann fürs Nebenfach. Er hatte vollmundige Angeber als Regisseure scheitern sehen und verstand sich auf die Nöte freier Mitarbeiter, kurz: als Leiter einer Kulturredaktion konnte er Talente fordern und fördern und mit den unzulänglichen Mitteln des Neubeginns Sendungen zustande bringen, die den teuren Magazinen großer Fernsehanstalten in nichts nachstanden. Die Arbeitsatmosphäre in seiner Redaktion war aufgeschlossen; unterschiedliche Begabungen entfalteten sich, und der Mann war als Abteilungsleiter angesehen.
Natürlich gab es - wie überall im Gestell - Neider. Natürlich waren das die nächsten Mitarbeiter. Denn niemand glaubt fester an die eigene menschliche und fachliche Überlegenheit gegenüber dem Vorgesetzten, als die ihm unmittelbar untergebenen. Die Katastrophe begann, als ihm ein hoher Posten in der Administration angeboten wurde und er ihn akzeptierte. Er hatte nicht den Mut, darüber rechtzeitig mit seinen Mitarbeitern zu reden und insbesondere die Frage seiner Nachfolge zu klären. Fast alle fühlten sich dadurch übergangen und hofften zugleich, Anwärter auf die Redaktionsleitung zu sein. Der Aufsteiger aber befürwortete aus der höheren Ebene des Gestells einen externen Bewerber als neuen Ressortchef.
Dafür wurde er gehasst. Solchen Gefühlen begegnen Funktionäre der oberen Etagen üblicherweise mit Gelassenheit oder Zynismus; ernsthafte Gefahr erwächst ihnen nur auf gleichem oder höherem Niveau. Unser Mann aber hatte Pech. Die neue Funktion verlangte betriebswirtschaftliche und juristische Fähigkeiten; die schnellen Veränderungen in der Medienbranche ließen ihm keine Zeit, sich dafür zu qualifizieren. Er scheiterte, und die Geschäftsführung schickte ihn in einem Anfall falsch verstandener Loyalität auf seinen alten Arbeitsplatz zurück.
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