Samstag, 11. Oktober 2014

Enteignung

Herrenstraße26Die Ängste sind wieder da. Was einem zugeeignet wurde von Vater und Mutter, von Generationen fleißiger, irrender, in Krisen und Konflikte verstrickter Vorfahren, soll weg. Die Bindung an ein Dach überm Kopf soll gelöst, eine Immobilie vermarktet werden. Die festen Mauern sollen sich zu Geld verflüssigen. Ein vertrauter, nur dem Bewohner vertrauter Wert – der des Gebrauchs, des Wohlfühlens und der Geborgenheit – soll verwertbar im Sinne des gleichgültigen Marktes sein, der einer der größten Erfolge der Gattung ist - und ein Schlachtfeld der Begehrlichkeiten von Individuen, Gruppen, Korporationen, denen Heimat nichts bedeutet. Sie rechnen. Sie dominieren. Sie haben elaborierte Rechtfertigungen dafür, Leben seiner Lebensräume zu enteignen – egal ob es Häuser, Dörfer, Städte, Landschaften oder ganze Kontinente sind.

Es sind fast 50 Jahre, dass der DäDäÄrr-Staat meine Mutter und Großmutter vor die Entscheidung stellte, ihr Haus, das Haus meiner Kindheit, samt dem zugehörigen Grund mitten in der Stadt, entweder für einen Pappenstiel zu verkaufen oder enteignet zu werden. Die beiden machtlosen Frauen konnten nicht ahnen, dass die Enteignung die komfortable Lösung war. 20 Jahre später hätte ihnen das eine “Restitution” beschert – und ein Millionenvermögen. Sie hätten kaum Zeit gehabt, in den verbleibenden Lebensjahren diese Millionen auszugeben. Als meine Großmutter 1993 starb, spielte Geld keine Rolle – wie in den Jahrzehnten zuvor. Wir nahmen voneinander Abschied in Liebe.

Meine Mutter lebte ab 1996 – betreut von meiner Schwester – fern jenem Ort, wo die als Verkauf getarnte Enteignung stattgefunden hatte, zur Miete. Die Eigentümerin des Hauses gehört zu den wenigen Menschen mit einer ganz persönlichen Haltung zum Grundgesetz: Eigentum verpflichtet! Sie wurde zur Freundin der Familie – und das Haus war gesegnet. Die alte Dame malte die schönsten Bilder, deren sie fähig war, sie hängen immer noch erheiternd und farbenfroh in Gängen und Treppenhaus. Die Eigentümerin wusch den Zigarettengestank aus den Gardinen ihrer “Mietpartei”, obwohl sie selbst das Rauchen verabscheut.

Ich muss in diesen Tagen meinen Anteil am Haus meines Vaters verkaufen; sein Erhalt übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der Geschwister, denen es gehört. Keiner von uns hat die Chance eines “Erwirb es, um es zu besitzen”. Vielleicht war unser Vater zu ehrgeizig, als er baute. Unsere Vorfahren – ihre Geschichte habe ich im “Blick vom Turm” aufgeschrieben – wussten wenig über die Nöte und Bedürfnisse nachfolgender Generationen. Wir müssen ihren Erwartungen nicht gerecht werden. Aber es hinterlässt mir ein tiefes Gefühl von Unbehagen und Trauer, welche Defizite ich den Nachkommen hinterlasse, wenn ich jetzt das Haus meines Vaters verschleudere, “weil der Markt mich dazu zwingt”.

Sonntag, 4. Mai 2014

Reißende Keilriemen und anderes Missgeschick

Bei Tempo 180 auf der Autobahn reißt der Keilriemen. Nicht schön, weil's kalt ist und der vorbeirasende Autostrom ungemütlich. Keilriemen-V-BeltVielen passieren solche und ähnliche Pannen – manch einer reagiert überraschend heftig. Es mag weitaus schlimmeres  Unglück geben, aber gerade die kleinen Teufeleien des Alltags treiben zur Weißglut. Die Psychologie hat das Phänomen vermutlich erschöpfend untersucht, gleichwohl verdirbt es einem immer wieder mit überraschender Heftigkeit die Laune: Als “Tücke des Objekts” wurde es zum geflügelten Wort. Erstmals benannt hat sie der Philosoph Friedrich Theodor Vischer in seinem 1879 erschienenen, seinerzeit sehr erfolgreichen Roman “Auch Einer – eine Reisebekanntschaft”.
Abergläubische sehen Teufel, Hexen, Dämonen am Werk, wenn sie trotz aller Vorsicht doch das Kabel des Rasenmähers überfahren und kappen, der Computer einfach nicht tut, was er soll, überhaupt technisches Gerät ohne Ursache und Anlass streikt. Aufgeklärtere vermuten böse Mächte des Kapitalismus dahinter – Stichwort geplante Obsoleszenz – oder sonst eine Verschwörung. Erstaunlich wenige nur nehmen die kleinen Boshaftigkeiten gelassen, gar mit Humor und als Ergebnis eigenen unzulänglichen Handelns. Immer wieder habe ich nicht nur aus eigenem Erleben konstatiert, dass große Katastrophen weniger emotional aufrühren als diese kleinen, teuflischen Störungen “im Detail”. Beethovens Biograph scheint davon zur Namensgebung für ein berühmtes Rondo - “Wut über den verlorenen Groschen” - inspiriert worden zu sein, auch bei E.T.A. Hoffmann gespenstern an sich harmlose Sachen plötzlich koboldhaft, und nicht selten mündet der Zorn über versagende, widerspenstige Dinge in Attacken, gar Zerstörung. Der folgende Schaden ist viel schlimmer als der Anlass des Ärgers, jede besonnene Reaktion wäre sinnvoller, doch kann Rache auch am tückischen Objekt durchaus süß sein – jedenfalls bis zum Blick auf die Kosten.
Kern dieser Rachegefühle? Mit einem Schlag erlebt einer, dass nicht er Dinge beherrscht, sondern Dinge ihn, und diese Ohnmachtserfahrung ist besonders drastisch, wenn das gewohnheitsmäßig leicht zu Beherrschende sie ihm antut. Die stoische Reaktion auf Brände, Erdbeben, Übergriffe Mächtiger scheint uns Menschen ebenso eigen, wie berserkerhafte auf manch kleines Missgeschick. Und da wir einerseits alles daransetzen, uns mit technischen Mitteln gegen die großen Schläge zu feien, wird offenbar die Wut auf nicht funktionierende Dinge, Dienstleistungen, Planungen – also versagende Sicherheiten - überdimensional. Finden sie das übertrieben? Dann warten sie einfach die nächste Überraschung durch ihren Staubsauger oder ihr Smartphone ab.

Donnerstag, 6. März 2014

Aufs Siegen fixiert: Massenwahn und Kriegsgefahr

Reichstag_Giebel2„Du musst steigen oder sinken,
Du musst herrschen und gewinnen,
Oder dienen und verlieren,
Leiden oder triumphieren,
Amboss oder Hammer sein.”
 


So Goethe in einem seiner “Geselligen Lieder”. Der folgende Text ist aus dem 6. Kapitel von “Der menschliche Kosmos”. Darin geht es um Dominanz – und die zugehörigen Rituale und Rollenspiele. Die Medien konditionieren gerade wieder die Massen  darauf, wie gebannt auf die Spielchen der Mächtigen zu starren – ohnmächtig.


Es ist die klassische Entscheidung. Immer wieder einmal verkürzt sie sich auf die platte, mechanische Frage nach der Macht, die Frage „Wer – wen“. Damit wird der systematische Fehler unserer Wahrnehmung, die Reduktion komplexer Prozesse auf simple Kausalitäten, total und brutal zum politischen Prinzip erhoben. Leider haben die katastrophalen Folgen solcher Machtpolitik wenig Einsicht bewirkt. Dem systematischen Fehler folgt der Auswertungsfehler. Aber es ist mit dem engen Blick auf ewige Abfolgen von Ursache und Wirkung, Täter oder Opfer sein, Gewinner oder Verlierer, eben noch viel schwieriger als mit dem Sonnenauf- und untergang, der die Kopernikanische Wende um Jahrhunderte überdauert hat: Wir sehen die Erddrehung so wenig wie die Wechselwirkungen von Umgebung, Auge und Gehirn , wir sehen, was uns unser Gehirn sehen lässt. Und an unserem Verhalten erscheint uns nichts so selbstverständlich wie Dominanz. Vor jedem Handeln liegt eine Entscheidung. In den allermeisten Fällen sind wir uns dieser Entscheidungen nicht bewusst. Wenn wir zurückschauen, ergibt sich fast ausnahmslos, dass einer der Handelnden die Tendenz hatte zu dominieren. Es gab immer einen Sieger, einen „Hammer“ und einen „Amboss“. Unsere Geschichtsschreibung und insbesondere die Massenkultur suggerieren, dass ein Sieg, dass das Beherrschen des Gegners wünschenswert ist: „The Winner Takes it All“. Egal was die Siege kosten – sie sind zunächst und vor allem Siege. Das macht Despoten so gefährlich, denn ihre Legitimität bedarf heute mehr denn je rechtfertigender Feindbilder und bejubelter Siege. Gefolgschaft lässt sich nur mit beidem rekrutieren, mit dem zwei-Komponenten-Kleber des “Wir sind mehr” und “Die anderen sind minder”.
In den Kommentarsträngen des social web tobt sich das mit Bezug zu jeglichem politischen Konflikt unvermeidlich aus. Bliebe es nur dabei, sollte’s mir recht sein. Die Vorstellung, dass sich ideologisch gebenedeite Masse, dass ihr Anführer sich von der Woge massenhafter Zustimmung emportragen lässt, der Welt den Sieger zu zeigen, diese Vorstellung ist mir zu gut vertraut, als dass ich gelassen dem anschwellenden Geschrei lauschen könnte. Noch’n bisschen Goethe gefällig?

"Diesem Amboss vergleich' ich das Land, den Hammer dem Herrscher
Und dem Volke das Blech, das in der Mitte sich krümmt."


Donnerstag, 2. Januar 2014

Kapitel 5 (3)

zurück zu Kapitel 5 (2)
Che Guevara, kubanischer RebellenführerGottlob scheitert der Marxismus-Leninismus – wie jeder Versuch zur Weltherrschaft. Statt Weltrevolution gab und gibt es Richtungskämpfe, die kommunistische und sozialdemokratische Strömungen trennt. Überlebt haben die Pragmatiker, die in einem „gezähmten“ Kapitalismus hauptsächlich als an-gestellte Interessenvertreter der Angestellten auftreten, sei es in Gewerkschaften oder in den „linken“ Parteien. Sie haben sich allesamt von den Denkkategorien des 19. Jahrhunderts kaum entfernt.
Machen Sie folgendes Experiment: fragen Sie Menschen in ihrem Bekanntenkreis, was ihnen an dem folgenden Satz unstimmig erscheint: „Der Staat versucht mit Gewalt, die Bevölkerung glücklich zu machen“.
Sie werden zu hören bekommen, dass mit Gewalt wohl kaum jemand glücklich zu machen sei. Das ist Quatsch, denn es gibt nachweislich viele Menschen, die ihr Lebensglück in sklavischen und masochistischen Verhältnissen finden. Der Satz beinhaltet allein deshalb einen verhängnisvollen Fehler, weil sein Grundverständnis von Staat mörderisch ist. Der Staat hat mit dem Glück seiner Bewohner nichts zu schaffen. Der Staat kann bestenfalls für flexible Ordnungsrahmen der Lebensverhältnisse und dafür sorgen, dass sie eingehalten werden, d.h. er ist für das Recht, für öffentliche Verwaltung und Finanzen sowie für wirtschaftliche Rahmenbedingungen zuständig, die möglichst niemanden benachteiligen sollen. Nur totalitäre Systeme verteilen Schablonen für das Glück. Das ist an ihrer Kultur – vor allem an Bildern und Symbolen, an Literatur und darstellender Kunst - aber auch an Festen und Alltagsgebräuchen erkennbar. Der demokratische Staat muss – wenn er nicht hinter den preußischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm und das 17. Jahrhundert zurückfallen will – „jedermann nach seiner Façon glücklich werden“ lassen.
Die sozialdemokratischen und Gewerkschaftsbewegungen, die aus den Theorien von Marx ihre ideologische Durchschlagskraft bezogen und als Interessenvertreter der abhängig Beschäftigten die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse im 20. Jahrhundert so verändert haben, dass wir wohl ohne Übertreibung vom Jahrhundert der An-Gestellten sprechen dürfen, diese mächtigen Subjekte der Geschichte können sich von einem zentralen Terminus nicht befreien: der „sozialen Gerechtigkeit“.
Natürlich muten nicht einmal die Kommunisten jemandem zu, darunter eine quantitative Gleichverteilung materieller Güter zu verstehen, obwohl sie gern den Neid für die „gerechte Empörung“ ihrer Anhänger mobilisieren.
Stoertebeker2„Gleichverteiler“ wie der Seeräuber Störtebeker sind ihnen sympathische, aber nicht vom Marxismus- Leninismus dialektisch erleuchtete „Frührevolutionäre“ oder „Anarchisten“. Trotzdem wiegte sich selbst ein heller Kopf wie der Dichter Bertolt Brecht in der Illusion, man müsse einen Sockel materieller Mindestversorgung für alle haben, damit sich der Wettbewerb und die Vielfalt der Individuen recht entfalten könne, und also habe nichts zu geschehen, als die „Expropriation der Expropriateure“ – die Enteignung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln - dann werden diese Mittel in der Hand des sozialistischen Staates jedermann zum Segen gereichen und jeder werde nach bestem Vermögen dem Gemeinwesen zuarbeiten.
Der Denkfehler liegt genau darin, dass diejenigen, denen unsere sozialistischen Heilsbringer Gerechtigkeit schaffen wollen, am wenigsten davon halten. Wie hoch soll denn der Sockel der Mindestversorgung auch für Nicht-An-Gestellte sein? Reichen das freistehende Einfamilienhaus und das Auto nach Wunsch für alle Familienmitglieder? Interessieren sich die Leute, deren tarifliche Privilegien in regelmäßigen Abständen zum Medienereignis der Nation gemacht werden, für soziale Fragen über ihre Weihnachts-, Urlaubs-, Treue- und sonstigen Gratifikationen hinaus? Also etwa für die existentiellen Probleme der Nicht- An- Gestellten oder die Arbeitsverhältnisse in China?
Nicht die Bohne. Das beweisen sie massenhaft durch ihr Einkaufsverhalten, bei dem Geiz geil und nur wer bei globalen Megakonzernen einkauft, nicht blöd ist. Damit verhilft er jenen zur unumschränkten Macht zwischen Bratislava und Shenzhen. Alsbald greinen die öffentlichen Schallverstärker des Sozialismus über das Menschen verachtende Kapital, das seine Arbeitsplätze dorthin schafft, wo sie – na? – billig sind. Geiz ist geil und wer ein Unternehmen erfolgreich im globalen Markt führen will, sollte nicht allzu blöd sein.
Weiter zu Abschnitt 4










Eigensinn verpflichtet! » Leben Lesen