Freitag, 2. November 2012

Kapitel 2 (6)

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Das wäre vielleicht der Punkt, auf eine spezifische Moral des Angestellten zu sprechen zu kommen. Aber wir stoßen auf ein kompliziertes Gemenge: Nationalität, Ideologie, soziale Schichtungen und kulturelle Prägungen des 19. Jahrhunderts spielen gerade bei dem in Deutschland übermächtigen Bedürfnis nach sozialer Sicherheit ebenso mit, wie bei der Bereitschaft zur Illoyalität[1]. Dennoch scheint die Erfahrung des Angestellt-Seins die Oberhand zu gewinnen.
Jeder Teil des Gestells wird nur auf den jeweils günstigsten Angestellten, d.h. eine quantifizierbare Leistung zurückgreifen und wechselt ihn gegebenenfalls gnadenlos - also ohne „Moral“ - aus. Das ist ein - quantitativ - faires Verhältnis. Die Qualitäten des einzelnen über die schiere Funktion im Gestell, über den Arbeits-Marktwert hinaus sind zweitrangig, manchmal sogar störend. Sie müssen auch in den Augen des Angestellten selbst wertlos erscheinen - und dadurch sieht er sich zugleich ungerecht bewertet.
Sie kennen vielleicht den hübschen Spruch: „In jeder Organisation gibt es eine Person, die kompetent ist und bescheid weiß. Es kommt darauf an, diese Person zu finden und unverzüglich zu entlassen, damit die Organisation funktioniert“.
Menschen, die aus dem Gestell herausfallen, leiden psychisch. Sie verlieren das Selbstvertrauen und empfinden sich als „wertlos“. Dieses Gefühl wird von den Kulturverwesern des Gestells - den an-Gestell-ten Partei-, Gewerkschafts- und Medienfunktionären gepflegt und gehätschelt. Selbständig denkende und handelnd ihr Leben gestaltende Menschen brauchen nämlich weder Mitleid noch bevormundende Fürsorge. Aber innerhalb des Gestells werden ihnen kaum andere als die bezahlten Leistungen abverlangt und sie haben nie gelernt, ihre Qualitäten selbst zu erweitern und zu vermarkten. „Freigesetzt“ klingt ihnen wie „ausgesetzt“.
Für den Angestellten zählt nur eines: seine STELLUNG im GESTELL SICHERZUSTELLEN. Dann kann er im Brustton der Überzeugung seiner kochenden und Kinder erziehenden Frau erklären: „Was leistest du denn schon. Ich sorge schließlich für die Existenz".
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[1] Margret Boveri „Der Verrat im 20.Jahrhundert“, Rowohlt, Hamburg 1956

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